Jährliche Zyklen im Zahnschmelz geben Einblicke in die Lebensgeschichte
Wenn Sie eine Lupe und eine Taschenlampe nehmen und Ihre Zähne ganz genau im Spiegel betrachten, können Sie stellenweise ein Muster aus feinen, parallelen Linien erkennen, die über Ihre Zähne verlaufen. Diese entsprechen den Retzius-Streifen, die das Wachstum unseres Zahnschmelzes markieren. Der Zahnschmelz beginnt sich im Mutterleib zu bilden und mineralisiert sich bis zur Pubertät weiter, wenn die letzten Milchzähne ausfallen und durch bleibende Zähne ersetzt werden. Wie bei allen Landwirbeltieren mineralisiert auch beim Menschen der Zahnschmelz nach und nach in mikroskopisch dünnen Schichten, dargestellt durch die Retzius-Streifen. Die Geschwindigkeit, mit der sich ein Mensch entwickelt, lässt sich an diesen Retzius-Zeilen ablesen. Physiologische Veränderungen, wie zum Beispiel Geburt, Entwöhnung oder Krankheit, hinterlassen deutliche Spuren. Die Striae von Retzius bilden auch den chronologischen Rahmen für die chemische Zusammensetzung des Zahnschmelzes, der wiederum Veränderungen in der Ernährung des betreffenden Individuums widerspiegelt.
Durch das Studium ihrer Zähne , ein internationales Wissenschaftlerteam der Goethe-Universität Frankfurt unter der Leitung von Professor Wolfgang Müller und seiner MSc-Studentin Jülide Kubat, jetzt Doktorandin an der Université Paris Cité, verglich die Ernährungsgewohnheiten eines Vorfahren des modernen Menschen – Homo erectus, „der aufrechte Mann“. – mit denen zeitgenössischer Orang-Utans und anderer Tiere. Sie alle lebten während des Pleistozäns vor 1,4 Millionen bis 700.000 Jahren auf der indonesischen Insel Java, die damals von Monsunregenwäldern sowie offenen Baumlandschaften und Grassavannen geprägt war.
Um den Zahnschmelz zu analysieren, betteten die Forscher die Zähne in Harz ein und schnitten sie anschließend in hauchdünne, etwa 150 Mikrometer dicke Scheiben. Diese äußerst kostbaren Zahnproben sind Teil der Sammlung Gustav Heinrich Ralph von Koenigswald im Senckenberg Forschungsinstitut und Naturkundemuseum Frankfurt, eine Dauerleihgabe der Werner Reimers Stiftung. Im Gegenzug verwendeten sie einen speziellen Laser, um Material von den dünnen Scheiben abzutragen, das mit einem Massenspektrometer unter anderem auf Strontium und Kalzium, die sowohl in Knochen als auch in Zähnen vorkommen, chemisch analysiert wurde (Laserablation induktiv gekoppelte Plasma-Massenspektrometrie). (LA-ICPMS)). Das Verhältnis von Strontium zu Kalzium (Sr/Ca) hänge von der Ernährung ab, erklärt Müller: „Strontium wird vom Körper nach und nach ausgeschieden – sozusagen als Beimischung des lebenswichtigen Kalziums. In der Nahrungskette führt dies zu einer kontinuierlichen Ausscheidung.“ Abnahme des Strontium-Kalzium-Verhältnisses (Sr/Ca) von Pflanzenfressern über Allesfresser bis hin zu Fleischfressern.
Dies konnte das Forscherteam durch den Vergleich verschiedener pleistozäner Tierzähne aus Java untermauern: Raubkatzen wiesen ein niedriges Strontium-Kalzium-Verhältnis auf, Vorgänger der heutigen Nashörner, Hirsche und Nilpferde wiesen hohe Strontium-Kalzium-Verhältnisse auf und pleistozäne Schweine als Allesfresser waren irgendwo dabei mitten drin. Besonders spannend waren die Zähne der Hominiden Orang-Utan und Homo erectus, denn hier entdeckten die Forscher Jahreszyklen, in denen sich die Nahrungszusammensetzung von Menschenaffen und Menschen veränderte: Beide zeigten im Laufe der Jahre Schwankungen, die regelmäßigen Sr/Ca-Peaks waren jedoch viel ausgeprägter beim Orang-Utan als beim Homo erectus. Kubat, Erstautor der Publikation, erklärt: „Diese Spitzenwerte deuten auf ein reichliches Angebot an pflanzlicher Nahrung in der Regenzeit hin, in der beispielsweise der Regenwald viele Obstsorten hervorbrachte. Während der Trockenzeit wechselten Orang-Utans zu anderen Nahrungsmitteln.“ Quellen, zu denen möglicherweise Insekten oder Eier gehörten. Im Gegensatz dazu war Homo erectus als Allesfresser und gelegentlicher Fleischfresser weniger abhängig von der saisonalen Nahrungsversorgung – wie die weniger ausgeprägten Spitzen und niedrigeren Sr/Ca-Werte zeigen.“
Insgesamt, so Müller, zeigt ihre Forschung, dass die hochaufgelöste Laseranalyse von Spurenelementen zusammen mit der Zahnschmelzchronologie bemerkenswert detaillierte zeitliche Einblicke in die Lebensgeschichte unserer Vorfahren liefern kann: „Plötzlich fühlt man sich diesen frühen Menschen sehr nahe.“ die so lange vor uns gelebt haben. Man kann spüren, was es für sie bedeutet haben könnte, als die Jahreszeit wechselte, und wie sie mit ihrer Welt interagierten. Das ist absolut faszinierend.“
- Diese Pressemitteilung wurde ursprünglich auf der Website der Goethe-Universität Frankfurt veröffentlicht
Durch das Studium ihrer Zähne